Als Lost Motion bezeichnete Gann den maximalen bzw. durchschnittlichen Betrag, um den eine Widerstands-oder Unterstützungszone überschritten werden kann, ohne daß sie bricht. Man setzt dann den Stop jenseits dieser Zone ungefähr so, daß man davon ausgehen kann das in 9 von 10 Fällen der Stop nur erreicht wird, wenn die Linie tatsächlich bricht.
Grundsätzlich wird natürlich jedes Signal umso wichtiger, je mehr es von verschiedenen unabhängigen Faktoren bestätigt wird, also auch durch verschiedene unabhängige Gann-Techniken, die sich gegenseitig unterstützen. Gann betonte darüber hinaus die Wichtigkeit der Überschneidungen von Signalen der gleichen Technik, die von verschiedenen Ausgangspunkten ausgeht. So werden sich Wendepunkte immer dann ergeben, wenn z.B. verschiedene Gann-Angles, die von verschiedenen Punkten aus gezogen werden, sich im gleichen Punkt kreuzen oder bestimmte Zeitzählungen, ausgehend von verschiedenen Punkten, auf dasselbe Datum fallen usw.
Ein zentraler Punkt bei Gann ist seine Entdeckung, daß ein Zusammenhang besteht zwischen Zeit und Preis, daher sind seine Verfahren auch skalierungsabhängig. Sein zentraler Satz war: "Ein Trendwechsel wird zwangsläufig, wenn Zeit und Preis sich treffen". Nehmen wir als Beispiel eine Aktie wäre an 30 Tagen um 30$ gestiegen. Dieses Treffen von Preis und Zeit kann sich aber vielfältig darstellen. Normalerweise treffen sich Zeit und Preis immer, wenn z.B. die Kurse sich auf einem 1*1-Angle befinden. Gann meinte aber auch, daß die Berührung der Kurse irgendeines anderen Angles ebenfalls eine Begegnung von Zeit und Preis ist, wenn auch nicht so stark, da die anderen Angles eben mathematische Ableitungen sind. Fast alle seine Verfahren basieren auf dieser Beziehung zwischen Zeit und Preis. Sie erscheint auf den ersten Blick unglaubwürdig, hat sich aber in der Praxis bewährt. Mittlerweile gibt es Versuche,sie wissenschaftlich zu erklären. Nehmen wir z.B. die Torque(Drehmoment)-Analyse von Garrett, aber diese Ansätze greifen z.Z. noch zu kurz und reichen nicht aus das Phänomen zu erklären.
Die Signale werden umso sicherer, je stärker sie bestätigt werden, z.B. durch verschiedene Gann-Verfahren oder durch zusätzliche Signale von Murrey oder Fibonacci oder anderen modernen Indikatoren. Auch arbeiten sie gut mit vielen astrologischen Signalen zusammen. Da die Gann-Verfahren unabhängig von den meisten anderen technischen Verfahren sind lassen sich mit ihrer Hilfe so Handelssignale gewinnen, die eine extrem hohe Trefferquote besitzen. Scheitert ein solcher vielfach bestätigter Trade dennoch, so liegt meist eine von zwei Ursachen zugrunde.
Grundsätzlich sollte man hier natürlich prüfen, ob sich verschiedene Gann-Verfahren gemeinsam überschneiden, z.B. Preisziele und Zeitziele. Man sollte hierzu auch in verschiedenen Zeitebenen arbeiten. Robert Krausz empfiehlt z.B. für den S&P 9-Minuten-Charts, 45-Minuten-Charts und Stunden-Charts.
Noch sicherer sind die Überschneidungen,wenn noch zusätzlich Überschneidungen mit Fibonacci-Verfahren hinzukommen.
Sehr gut geeignet sind die Bollinger-Bänder, ebenfalls in drei verschiedenen Zeitrahmen. Allein das Zusammentreffen von Signalen von Bollinger-Bändern ist schon ein sehr starkes Indiz, kommen jetzt noch Überschneidungen von Gann-Prognosen von verschiedenen Böden und Tops hinzu, so erhält man Trades von großer Sicherheit.
Man kontrolliert weiter den Zustand der Trendindikatoren und der Oszillatoren. Besonders geeignet sind moderne Indikatoren, treten hier zusätzlich Wendesignale auf, so hat man eine fast 100%tige Treffsicherheit.
In der Literatur findet sich immer wieder die Behauptung, daß die Erfolge von Gann aufgebauscht wurden. Dies macht sich an den Äußerungen seines Sohnes fest, der von ihm enterbt wurde und an der Tatsache, daß beim Tode von Gann dieser lediglich 150000$ erbte.
Die damalige Zeit, 1955, war die Zeit der höchsten Steuersätze in den USA. Gann parkte seine Gelder in Steuerenklaven in Form von Stiftungen. Diese Gelder gingen nicht in die Erbmasse ein und sollten dies auch nicht. Er entfernte auch die Widmung an seinen Sohn aus allen seinen Schriften.
Nun hat Gann allerdings mit seinem Sohn gebrochen und den Hauptteil seines Vermögens seiner dritten Frau vermacht. Diese lebte bis in die 1990er in großem Reichtum und zwar trotz des Verlustes ihres großen Grundbesitzes, den sie von Gann erhielt auf Kuba. Ein weiterer Großteil seines Vermögens ging an Kirchen und wohltätige Stiftungen.
Bei seinem Tode hatte seine Firma neun Angestellte, er besaß zwei Privatflugzeuge, eine Yacht und mehrere Hausangstellte.
Seine Trading-Erfolge sind nach 1945 durch die Broker-Auszüge dokumentiert. Entscheidend aber ist, daß er in einer Zeit, den 1920er Jahren, wo ein nagelneuer Ford 500$ kostete und ein Einfamilienhaus 3000$, Börsenbriefe und Börsenkurse zwischen 1500$ bis zu 5000$ vertrieb. Seine Kunden verdienten damit Geld, noch wichtiger aber ist, daß seine gesamten Prognosen über viele Jahrzehnte dokumentiert sind und diese sprechen für sich.
Die Gann-Verfahren waren und sind ein Außenseiter-Verfahren. Dies hängt neben ihrer Komliziertheit vor allem damit zusammen, daß sie den heutigen Menschen unglaubwürdig erscheinen, denn es gibt offensichtlich keine kausalen Beziehungen zwischen den Bestimmungsfaktoren der Kurse und den geometrischen und mathematischen Verfahren, die Gann anwandte.
Dieser Umstand allerdings hat den Vorteil, daß sie auch in Zukunft noch funktionieren werden, da nur wenige sie verwenden. Überdies ist es so, daß sowohl in der Physik als auch in der Biologie mittlerweile die Kausalität als einziger Wirkungsfaktor ausgehebelt wurde. Dies spiegelt sich allerdings nicht in den Lehrplänen der Schulen wider, die nach wie vor ein veraltetes Weltbild vermitteln, ohne die Erkenntnisse des späten 20.Jahrhunderts zu berücksichtigen. Die Verfahren Ganns lassen sich in ihrer Wirksamkeit teilweise durch die fraktale Geometrie erläutern.
Bis Mitte der 1960er war diese eine rein mathematische Spekulation. Als aber die Computer in der Lage waren, Milliarden von Rechenschritten durchzuführen, trat sie in das Bewußtsein der Öffentlichkeit, wobei in den Schulbüchern allerdings nur auf die Möglichkeit abgestellt wird, mathematische Strukturen sichtbar zu machen, manchmal auch auf die Selbstähnlichkeit der Wirklichkeit, die dem Trader gut bekannt ist, da sich Formationen und Muster in verschiedenen Zeitrahmen wiederholen.
Die beiden entscheidenen Erkenntnisse der fraktalen Geometrie werden in den Lehrplänen jedoch ausgeklammert.
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